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Schwarmintelligenz und Perspektivenvielfalt in der Teamentwicklung

Oder: Warum der Praktikant eine wichtige Rolle spielt! 

Gastbeitrag von Kim Klemke | SOME GOOD IDEAS


Schwarmintelligenz in der Teamentwicklung

 

Im Rahmen meines letzten Auftrages in der Teamentwicklung habe ich in verschiedenen Entwicklungsstufen sehr gut Erfahrungen mit der - wie ich es nenne - Nutzung der Schwarmintelligenz gemacht. 

 

Sowohl in der Auftragsklärung als auch bei der Erstellung der Arbeitshypothesen und der anschließenden Ergebnisauswertung durch das Team, wird eine höhere Wertschöpfung der Arbeitsergebnisse - sowie eine Tiefe und Klarheit in der Problemstellung -  erreicht, wenn wir die Schwarmintelligenz sinnvoll einsetzen. 

 

 

Aber immer der Reihe nach...

 

 

 


In der Auftragsklärung lernen wir den Charakter der Organisation kennen

Im Rahmen der Auftragsklärung definieren wir Schlüsselpersonen, versuchen über Gespräche eine erste Sicht auf die Situation und Problemfelder zu erhalten, definieren einen Standpunkt und erste Ziele der geplanten Entwicklung. 

 

Ebenso gilt es den Geist und Charakter der Organisation zu erfassen, dabei die Sprache und Metaphern des Unternehmens aufzugreifen und in deren Welt einzutauchen, um Sicherheit und Verständnis aufzubauen.  

Der Auftraggeber erläutert das Problem, aber die Hälfte der anderen Realitäten bleibt uns verborgen

Häufig spricht man in der Theorie der Auftragsklärung von einem Auftraggeber, der das Problem erläutert. Was ich dabei so schwierig finde: Der Auftraggeber hat eine Realität, geprägt durch Wahrnehmungen und Vorerfahrungen, die auf einem Teil-Ausschnitt der beteiligten Systeme basieren. 

 

Ergänzende Gespräche, die Wahrnehmung der anderen Beteiligten, Intentionen und der tatsächliche "gute Grund" für das Handeln der anderen bleiben uns zunächst verborgen. 

Wir steigen bei der Hälfte eines Hörbuchs ein, welches jeder Beteiligte in seiner eigenen Wahrheit bereits interpretiert hat

Was wir uns immer wieder vor Augen halten müssen: Wenn wir ein Organisationsentwicklungsvorhaben oder einen Teamentwicklungsprozess beginnen, steigen wir an einer bereits fortgeschrittenen Stelle im Prozess ein. Etwa so, als würden wir bei der Hälfte eines Hörbuchs dazu kommen, welches von der Gruppe schon einmal gehört wurde.

 

Jede*r hat dabei mit einem eigenen Filter gehört. Und für uns stellt sich die Frage, welche Geschichte in ihren unterschiedlichen Realitäten hier tatsächlich gerade abläuft. 

Warum die Sicht des Praktikanten und die Investition in die Perspektivenvielfalt so wichtig sind

Nun gilt es neben dem Auftraggeber auch weitere Perspektiven - und eben auch die des "Praktikanten" - einzubinden.

 

Das Abrufen dieser Praktikanten-Perspektive ist wertvoll und liefert meist fehlende Puzzleteile im Gesamtkonstrukt. Der Praktikant steht sinnbildlich für Personen, die nicht zwingend im Kern der Aktivitäten stehen, aber die Situation sichtbar im Blickfeld haben. Frage dich immer: Wer kann eine ganz neue, frische Perspektive ins Team bringen? 

 

Dennoch: Tauscht man sich mit Expert*innen aus, gibt es keine Formel für die ideale Anzahl von Gesprächen in der Auftragsklärung. Ein guter OE-ler macht dies nach Bauchgefühl. Als Freundin der Zahlen ertappe ich mich jedoch immer wieder dabei, Faktoren auszumachen, die sich bisher als hilfreich in der Auftragsklärung erwiesen haben.

Meine 5 Learnings wie du eine gute Auftragsklärung messbar machen kannst

Meine bisherigen Learnings sind: 

 

  • Bei einem Team mit bis zu 7 Mitarbeitenden sollte ein Einzelgespräch mit jedem forciert werden. 
  • Die Gespräche werden stets alleine geführt auch dann, wenn ggf. eines großes Vertrauensverhältnis der Teammitglieder untereinander besteht. Der Grund: Sprache erzeugt Realität. Zu schnell besteht die Gefahr, in das Gesagte des Gegenübers einzustimmen und Aussagen zu bestätigen, statt erst einmal zu reflektieren und eigene Worte zu finden.
  • Binde mindestens eine Person aus dem Nicht-Kernteam mit ein. Das kann der Praktikant, der Azubi oder der Kollege aus dem Nachbarteam sein, der in regelmäßigen Abständen mit dem Team auf gleicher Ebene interagiert.
  • Binde - wenn möglich - eine Person ein, die entweder für das Team zuliefert oder von diesem Input erhält (Betrachtung der Wertschöpfungskette im Unternehmen. Wer arbeitet wem zu? Wer arbeitet gemeinsam an Projekten?) 
  • Prüfe, wer ggf. noch "nah" am Team dran ist, Arbeitsabläufe kennt und für den Handlungen und Verhalten sichtbar sind.

Wie mögliche hinderliche Muster oder Strukturen, die noch nicht gesehen oder benannt wurden, entdeckt werden können

Der Praktikant hat ggf. nicht die tiefen Kenntnisse über Strukturen. Aber er sieht Verhalten, hört Äußerungen und nimmt Stimmungen wahr. Dies sind relevante Indikatoren für Auswirkungen möglicher hinderlicher Muster oder Strukturen, die gebrochen und neu gestaltet werden können.

 

Wenn wir die Chance nutzen und in die unterschiedlichen Sichten der Teammitglieder eintauchen, ist die Sicherung unserer Allparteilichkeit - im Sinne der systemischen Organisationsentwicklung - wesentlich. Wir halten den Lösungsraum offen und zeigen, dass es erstmal keine richtigen und keine falschen Ideen gibt (dies ist insbesondere für die nachfolgende Ergebnisbewertung durch das Team relevant). Soviel zu den Gesprächen...

 

Weiter geht's! 

Find the Spot: Der Weg zur klaren Problemstellung

Haben wir nun alle Gespräche geführt, konsolidieren wir im nächsten Schritt die Interviews. Hierzu nutze ich gern die Point-of-View Methode. Dabei werden die zentralen Aussagen extrahiert, geclustert und für jede Persona ein Kernstatement mit Darstellung der Problemsituation und Wunsch zusammengefasst.

 

Hier hat es sich als hilfreich herausgestellt, plakative Aussagen, die durch die Teammitglieder getroffen wurden und das Problem auf den Punkt bringen, zu extrahieren und auch im anschließenden Präsenzworkshop zu zeigen.

 

Dabei der Hinweis: Deine Gespräche finden vertraulich statt. Auch wenn die Aussagen anonymisiert werden: Frage die Interviewten um Erlaubnis. 

Wie du hilfreiche Arbeitshypothesen für das Team erstellst

Im nächsten Schritt geht es um die wirksame Erstellung von Arbeitshypothesen.

 

Ziel ist es, konkrete Ansatzpunkte und nächste mögliche Handlungsschritte zu formulieren, damit das Team ins Handeln kommt. Eine Arbeitshypothese kann dabei z.B. nach dem folgenden Schema formuliert werden:

 

Kann es hilfreich sein, dass eine Übersicht über die erledigten Aufgaben für ein Selbstbild und für eine Reflexion im Team erstellt wird? 

 

Eine Hypothese ist dabei ein Ideenlieferant. Sie zeigt dem Team einen möglichen Weg für den nächsten Schritt auf. Sie ist eine vorläufige Annahme und bietet idealerweise einen Überraschungs- und Neuigkeitswert für den Empfänger. Damit wird ein neuer Denkraum für das Team eröffnet.

 

Matthias Varga von Kibéd hat dies sehr treffend formuliert:

 

Betrachte Hypothese stets wie Vögel, die um deinen Kopf fliegen

und vermeide, ihnen ein Nest zu bauen. 

 

Sofern du die Möglichkeit hast eines der Auftragsklärungsgespräche unterstützend mit einem Kollegen durchzuführen: Go for it! Idealerweise hat der Kollege vorher nur ein grobes Bild zu der Situation und kann bei Bedarf im Interview - sofern erforderlich - weitere Klärungsfragen stellen. 

 

Für uns hat sich die Option eine neue Person hinzuzuziehen als sehr hilfreich erwiesen. Sie war in der Lage, aus der unbeteiligten Adler-Perspektive ganz neue Aspekte zu erfragen, die bisher nicht "auf den Tisch" gekommen waren. Durch diesen frischen Blick konnten wir das Team anschließend bei der Erstellung von Hypothesen mit ganz neuen Sichtweisen unterstützen und diesem so weitere konkrete Arbeitsflächen und Anknüpfungspunkte bieten. 

 

Deine Hypothesen sind also immer ein bunter Blumenstrauß an Möglichkeiten, die du dem Team anbietest. Das Team entscheidet schließlich, was es nutzen möchte. Dabei gilt: Alles, was hilfreich ist, wird genutzt und tiefer geprüft.

Es geht los: Wie du einen priorisierten Fahrplan für das Team erstellst

Ich bekomme häufig die Frage gestellt: Kim, ab wann bindest du das Team ein? Meine grundsätzliche Antwort lautet: So früh wie möglich und so spät wie nötig.

 

Wenn wir das Ziel der systemischen Team- und Organisationsentwicklung in der Stärkung der Selbstorganisation sehen, die künftig dazu beitragen soll, das Potenzial ihrer Mitarbeitenden für das Lösen komplexer Fragestellungen weiter zu fördern - und die Innovationsfähigkeit der Organisation zu erhöhen -, ist es die einzig logische Konsequenz, die Mitarbeitenden früh in den Prozess miteinzubeziehen.

 

Sobald du also das Set an Arbeitshypothesen definiert hast, darf das Team auf die Bühne. Hierzu dürfen die Teammitglieder die Hypothesen nach verschiedenen Kriterien bewerten und so in eine Reihenfolge bzw. Priorisierung bringen. Beispiele sind:

  • Richtigkeit: Ist diese Hypothese überhaupt sinnvoll und richtig?

Die Abfrage der Richtigkeit ist Eingangsvoraussetzung für die weitere Betrachtung der Hypothese. Idealerweise definierst du einen kritischen Wert, den eine Hypothese aus Sicht des Teams überschreiten muss, damit sie als korrekt definiert und damit zur weiteren Prüfung angenommen wird. Ist eine Hypothese nicht richtig, wird sie verworfen.

  • Dringlichkeit: Wie dringlich sollte diese Hypothese umgesetzt werden?
  • Umsetzbarkeit: Wie gut und schnell ist diese Hypothese umsetzbar? 
  • Eigenständigkeit: Wie gut ist diese Hypothese eigenständig durch das Team umsetzbar? Wie viel Anteil äußerer Hilfe muss in Anspruch genommen werden?
  • Witzig / Nicht witzig: Wie witzig ist die Hypothese für euch? Könnt ihr dabei schmunzeln? Wie hoch ist der "Schmunzelfaktor"? 

Bei all der Bewertung und Priorisierung: Erlaubt euch den Raum für Humor! Schon bei der Erstellung von Hypothesen können verschiedene Kreativtechniken zum Einsatz kommen. Ziel ist hier insbesondere, auch spielerische Wege für die Erkundung von Mustern im System zu nutzen, um die Teamsituation bewusst aufzulockern. 

  • Innovationsgrad: Wie innovativ oder kreativ ist diese Hypothese im Vergleich zu den sonstigen durchgeführten Maßnahmen? 

Es gilt: Eine Hypothese ist nur so gut, wie das Team sie annehmen und umsetzen kann

Natürlich kann es auch sein, dass es themenähnliche Hypothesen gibt - wie z.B. verschiedene Maßnahmen zum Thema Teambuilding - , die aber in Bezug auf ihre Umsetzbarkeit sehr unterschiedlich bewertet werden. Hier hilft es, über ein Dot Voting weiter zu priorisieren. Idealerweise führst du eine anonyme Bewertung durch, damit sich die Teammitglieder nicht gegenseitig beeinflussen.

 

Nach Abschluss der Hypothesenbewertung haben wir einen priorisierten, konkreten Fahrplan erarbeitet, mit dem das Team direkt loslegen kann. 

Conclusio: Schwarmintelligenz in drei Schritten

Also nutze die Schwarmintelligenz in den nachfolgenden drei Schritten, um mehr Perspektivenvielfalt in deinen Prozess zu bringen:

  1. Durchführung der Auftragsklärungsgespräche: Die Sicht des "Praktikanten" einholen.
  2. Bildung von Arbeitshypothesen: Die Arbeitsfläche für das Team durch eine neue Person mit frischen Blick erweitern.
  3. Bewertung und Priorisierung: Frühzeitige Einbindung aller Teammitglieder, gemeinsame Bewertung und Erarbeitung eines Fahrplans. 

In diesem Sinne wünsche ich dir: Happy Working & frohes Schaffen im nächsten Prozess deiner Team- oder Organisationsentwicklung! 


Kim Klemke von SOME GOOD IDEAS

Kim Klemke

Kim Klemke ist Organisationentwicklerin und N64-Liebhaberin aus Hamburg. Mit SOME GOOD IDEAS gestaltet sie Konzepte für neue Arbeitsformen und macht New Work in Unternehmen messbar




Dieser Artikel ist ein Gastbeitrag. Vielen Dank an den/die Gastautor*in für das Teilen der Impulse mit den

VISION SESSION Magazin-Leser*innen! 



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