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Was ist der Zusammenhang zwischen systemisch und agil?

Interview mit Florian Zapp und Martin Schenkenberger

Christine | VISION SESSION | Die Vision führt uns an! - Der Podcast für visionäre Team- und Organisationsentwicklung

Wie passen systemische und agile Arbeitsweisen zusammen? Gibt es da überhaupt Zusammenhänge? Oder unterscheiden sich systemische und agile Vorgehensweisen eher voneinander? Um gute Antworten auf diese Fragen zu finden, habe ich mir in dieser Folge zwei Experten ins Boot geholt. Meine Interviewgäste sind Florian Zapp und Martin Schenkenberger.

 

Florian ist systemischer Organisationsentwickler und Geschäftsführer von Storylines in Hamburg. Martin ist Scrum Master und in diesem Bereich selbstständig im Rhein-Main-Gebiet tätig. Mit den beiden spreche ich über ihre systemischen und agilen Arbeitsweisen, über Haltungen, über Rollen. Aber auch darüber, warum es für unsere Arbeit als Coach:innen und Berater:innen hilfreich ist, sich beider Welten zu bedienen. 

 


Interview mit Florian Zapp und Martin Schenkenberger

 

 

Ich mag mit euch beiden gerne einsteigen in das systemische Feld. Florian, welche systemischen Prinzipien sind dir in deiner Arbeit besonders wichtig?

Florian: Ich fange mal mit einem Prinzip an, das alle systemischen Ansätze vereint. Und zwar betrachten wir als Systemiker nicht einzelne Elemente eines Systems, sondern betrachten die Wechselwirkung der Elemente. Denn die Idee ist ja, dass die Elemente eines Systems so miteinander verbunden sind, dass Veränderung in einem Bereich immer Veränderung in allen anderen Bereich mit sich zieht. Wenn man jetzt ein Team betrachtet, dann wäre es sinnlos, sich nur ein einzelnes Element anzuschauen. Denn jede Veränderung würde im System automatisch alles mit verändern.


Deshalb legt man den Fokus auf die Wechselwirkungen zwischen den Menschen, ihre Kommunikation, Strukturen und Prozesse. Und stellt sich hier die Frage: Wie müssen nicht die Menschen verändert werden, sondern welche Rahmenbedingungen bräuchte es?

 

Martin, worin siehst du da Gemeinsamkeiten und Unterschiede zum agilen Arbeiten? 

Martin: Im systemischen Arbeiten wird auch die Vergangenheit berücksichtigt. Das habe ich als Scrum Master bisher eher weggeschoben. In dem Bereich, in dem ich arbeite, geht es um Produktentwicklung und Geschwindigkeit. Das bedeutet, dass ich in meiner Arbeit zeitlich viel mehr getriggert bin, da es immer Zeitdruck und auch ein Budget gibt. Wir arbeiten im agilen Kontext in Iterationen, um aus Fehlern zu lernen und sie nicht noch mal zu machen. Die Ausrichtung ist also nach vorne und schnell. 

 

In der Zusammenarbeit mit Florian habe ich gelernt, dass es doch wichtig sein kann, auch die Vergangenheit zu berücksichtigen. 

 

Und wieso macht es aus deiner Sicht Sinn, agil zu arbeiten?

Martin: Agiles Arbeiten macht da Sinn, wo Lösungen und Lösungskonzepte noch unbekannt sind. Wenn wir in Produktwelten eintreten, die wir nicht kennen. Wo wir nicht genau wissen, wie soll das Produkt aussehen und wie reagieren die User darauf. Verstehen sie das überhaupt? Genau da bietet es sich meiner Meinung nach an, agil zu arbeiten. Das heißt, wir gehen iterativ vor. Wir bauen ein kleines Produkt und zeigen es dem potenziellen Kunden. Dann entscheiden wir, wie es weitergeht. 

 

Der Vorteil ist hierbei, dass wir uns sehr nah am Markt und am Kunden orientieren und direktes Feedback erhalten. Wir bauen also ein Produkt, das die Kunden auch verstehen. Und wir schaffen Transparenz für alle.

 

Bei dem Thema Iteration sehe ich eine Brücke ins Systemische. Wie siehst du das, Florian?

Florian: Einen offensichtlichen Zusammenhang von systemisch und agil sehen wir schon rein optisch in der Systemischen Schleife von Königswieser, die sehr ähnlich zu allen Darstellungen von Scrum und deren Sprints ist. Beide Vorgehen haben ähnliche Grundprämissen, auch wenn die Bedeutung unterschiedlich ist. Nämlich, dass wir es mit Komplexität zu tun haben, die verhindert, dass wir kausale „Wenn-Dann Pläne“  längere Zeit vorausplanen können. 

 

Die Systemtheorie sieht Komplexität in den Wechselwirkungen des Systems. Die agile Welt sieht die Komplexität eher in dem Thema, das bearbeitet wird. Beides bewirkt, dass wir nicht wissen, was am Ende dabei rauskommt. Im Prozess muss man sich immer wieder anpassen, Schleifen drehen und überprüfen. 

 

Wir geht ihr denn mit Konflikten in Teams um?

Florian: Ich habe die Erfahrung gemacht, dass wenn sich Dinge in einem System ändern, dann ändern sich auch die Konflikte. Deshalb können meiner Meinung nach Konflikte nicht isoliert betrachtet werden, sondern müssen immer im Kontext betrachtet werden. 

 

In meiner Arbeit habe ich oft erlebt, dass Menschen häufig in Konflikte geraten, weil Schnittstellen und Prozesse unklar sind. Wenn diese geklärt sind, klärt sich auch der Konflikt.

 

In der Arbeitswelt ist es für mich wichtig, dass man eine Ebene findet, auf der man professionell Zusammenarbeiten kann. Ich halte es jedoch für gefährlich, tief sitzende Konflikte und Verletzungen anzugehen. Das würde ich einem professionellen Mediator überlassen. 

 

Und wie ist es bei dir Martin?

Martin: Wenn man nach Scrum arbeitet, dann gibt es immer ein Wertegerüst. Auf dieses kann man sich in solchen Situationen beziehen und sagen: „Schau mal, diese Werte haben wir vereinbart“. Außerdem könnte man sich hier auch wieder auf das Sytemische beziehen und das Gegenüber zum Beispiel fragen: „Was würde dir denn helfen, zukünftig nicht mehr sauer zu sein?“

 

Als Scrum Master bin ich aber auch Teil des Teams und damit Teil des Problems und der Lösung. Ich muss die Konflikte deshalb nicht immer beheben, sondern nur dafür sorgen, dass sich der Sache angenommen wird. 

 

Du bist als Scrum Master Teil des Teams. Das ist ein großer Unterschied zur Rolle des/der systemischen Organisationsentwickler:in. Wie gehst du damit um?

Martin: Für mich geht es in meiner Rolle darum, mir schnell das Vertrauen des Teams zu erarbeiten. Sodass ich auch mal reingehen und Stopp sagen kann. Das kläre ich auch in den ganzen Vorgesprächen. Das heißt, in meiner Rolle kann ich nur über Werte und Vertrauen arbeiten und als Teil des Problems zum Teil der Lösung werden. 

 

Florian, warum sollte man sich als systemische:r Organisationsentwickler:in mit dem Thema Agilität beschäftigen? 

Florian: Am Anfang habe ich das agile Arbeiten unterschätzt. Es hat aus meiner Sicht das eine Problem - und das sagt Martin mir auch immer - „Easy to understand, difficult to master“. Denn man stellt sich das agile Arbeiten erst einmal einfach vor. Doch der Übertrag, wie Projekte mit dem Kunden umgesetzt werden, ist im Alltag eine große Herausforderung. 

 

Hier gibt es eine Menge tolle Tools, die in der Praxis helfen, wichtige Fragen zu beantworten. 

Außerdem finde ich die Rückzentrierung auf den Kunden sehr hilfreich. Also die Frage: Bringt uns unser Ziel in unserem Business weiter, oder sind wir nur mit uns selbst beschäftigt?

 

Ein anderer super Punkt beim Thema Agilität ist die fast schon Respektlosigkeit im Sinne: Einfach mal loslegen. Ohne lange zu überlegen.

 

Ich nenne das für mich „Reframing von Scheitern“. Denn in der agilen Welt sieht man es gar nicht als Scheitern an, sondern plant normale Veränderungen von Rahmenbedingungen, Vorgaben, Kundenbedürfnissen oder Umwelteinflüssen mit in den Prozess ein und arbeitet damit. 

 

Martin, warum braucht ein Scrum Master eine systemische Ausbildung?

Martin: Als Scrum Master arbeitet man ja mit Menschen. Deshalb gibt es immer auch große Veränderungen und Konflikte. Hier habe ich aus dem Systemischen viel dazugelernt und kann in diesen Themen anders unterstützen. 

 

Aber auch das Thema Langsamkeit. Ich schaue mir das Team an, beobachte, hinterfrage und stelle auch beispielsweise zirkuläre Fragen. 

 

Ich würde sagen, ich bin durch die systemische Ausbildung ein besserer Scrum Master geworden.


Florian Zapp - systemisch agil
Florian Zapp
Martin Schenkenberger - systemisch agil
Martin Schenkenberger

Florian Zapp und Martin Schenkenberger

Martin Schenkenberger und Florian Zapp sind die Hosts des Podcasts systemisch - agil. Ihr Anliegen ist es, ihre beiden Leidenschaftsthemen und Arbeitswelten als Scrum Master und agiler Experte (Martin) und systemischer Organisationsentwickler (Florian) zu verbinden. In Ihrem Podcast besprechen sie Themen rund um agiles Arbeiten, Organisationsentwicklung, Systemtheorie und mehr. Den Podcast gibt es auf allen gängigen Podcastplattformen und hier: https://systemisch-agil.podigee.io

 

 




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