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Widerstand in Veränderungsprozessen

5 Fragen + 1 Methode zum Umgang mit Widerstand

Christine | VISION SESSION | Die Vision führt uns an! - Der Podcast für visionäre Team- und Organisationsentwicklung


Widerstand in Veränderungsprozessen

 

Im Führungscoaching und in Führungstrainings ist das Thema Widerstand sehr beliebt. Doch, woran erkennen wir eigentlich Widerstand?

 

Häufig berichten mir Führungskräfte davon, dass sich Widerstand darin ausdrückt, dass der Angestellte nicht das tut, was er tun soll. Oder dass Mitarbeitende versuchen würden, den angedachten Change-Prozess zu sabotieren. Es wird von Diskussionen erzählt, von Grüppchen-Bildungen im Team oder der Abteilung. Schlussendlich geht es um Stimmungen und Dynamiken, die das Miteinander beeinträchtigen.

 

Aber, was ist Widerstand eigentlich genau? Und wie lässt sich mit Widerstand in Veränderungsprozessen gekonnt umgehen? Das schauen wir uns hier einmal genauer an. 

 


Was ist Widerstand?

In meinen Führungstrainings nutze ich zur Erklärung von Widerstand gerne ein Bild. Auf diesem Bild sehen wir einen Bauer und einen Esel.

 

Der Esel hat sich auf diesem Bild auf sein Hinterteil gesetzt und der Bauer drückt mit all seiner Kraft gegen den Rücken des Esels. Dem Bauern stehen bereits die Schweißperlen auf der Stirn. Er hat die Augen zusammengekniffen und beißt die Zähne fest zusammen. Der Esel sieht derweil auch nicht entspannter aus. Er hat die Augen vor Angst weit aufgerissen und auch er muss sich ordentlich anstrengen, um dagegenzuhalten. 

 

Wir erkennen auf diesem Bild sehr gut, dass es ein Kraftakt für beide ist. Beide widersetzen sich der Bewegung des anderen. Und ich frage bei der gemeinsamen Betrachtung des Bildes gerne in die Runde: Wer erzeugt hier eigentlich Widerstand? Der Bauer? Oder der Esel?

 

Natürlich möchte ich mit diesem Bild nicht sagen, dass Menschen Esel sind! Es geht mir nicht darum, wen wir hier genau auf dem Bild sehen. Was durch das Bild allerdings deutlich wird:

 

Widerstand ist interpersonell.

 

Es ist ein Phänomen, das zwischen uns Menschen entsteht. Dieses Phänomen wird durch eine gemeinsame Dynamik erzeugt. 

Widerstand neurowissenschaftlich erklärt

Für die Erklärung des Phänomens Widerstand lohnt sich ein Blick in die Forschung zu Affekten, Emotionen und - ganz allgemein -  ein Blick in das Feld der Neurowissenschaften. 

 

Aus neurowissenschaftlicher Perspektive zeigt sich, dass Fühlen, Denken und Verhalten in einem unmittelbaren Zusammenhang miteinander stehen. Dabei ist die emotionale Komponente, das Fühlen, die stärkste und schnellste Kraft. Unsere Emotionen steuern zum größten Teil die anderen beiden Komponenten: unser Denken und unser Verhalten. (Vgl. Ciompi 1997)

 

Emotionen tauchen dabei niemals in einem Vakuum auf, sondern beziehen sich auf eine spezifische Situation. Und auf Bedürfnisse, die wir in Bezug auf diese Situation haben. (Vgl. Nicolaisen 2019)

 

Wenn unsere Bedürfnisse beachtet, gesehen und wahrgenommen werden, entsteht Motivation oder auch ein Gefühl von Verbundenheit. Und wenn das nicht geschieht? Dann können Gefühle wie Enttäuschung, Wut und Verachtung auftauchen. Und im Zusammenhang damit auch Verhaltensweisen, die wir gerne Widerstand nennen.

 

Zusammengefasst: Widerstand beruht auf unberücksichtigten Bedürfnissen

 

Wie wir Widerstand nutzen können

Weil Widerstand ein Anzeichen dafür ist, dass wichtige Bedürfnisse von Mitarbeitenden nicht beachtet und gesehen werden, könnten wir also sagen: Widerstand ist eine wichtige Informationsquelle. Sie ist eine besondere Sprache, die uns vermitteln will, dass da noch einmal nachgeprüft und nachjustiert werden muss.

 

Mit Widerstand wollen uns Mitarbeitende etwas Wichtiges mitteilen. Wir könnten nun also auch behaupten: Widerstand ist eine ganz besondere und äußert wichtige Form der Kooperation. Widerstand eröffnet das Gespräch und bietet einen Lernanlass für alle Beteiligte. 

 

Und wenn Widerstand eine Information ist, dann könnten wir uns jetzt fragen, was denn da eigentlich mitgeteilt werden will. Auf 5 mögliche Botschaften möchte ich hier einmal eingehen. Diese stehen nicht für sich, sondern können beliebig miteinander kombiniert werden. 

Angst

Eine Botschaft, die durch Widerstand ausgedrückt wird, ist "Ich habe Angst." Mitarbeitende können uns durch Widerstand mitteilen, dass sie sich ängstigen, der neuen Situation nicht gewachsen zu sein oder einen Verlust zu erleiden.

 

In Veränderungsprozessen entstehen nicht selten neue Aufgaben, neue Rollen und Strukturen. Möglicherweise verliert der Mitarbeitende etwas durch die Veränderung. 

 

In der Organisationsforschung wird beispielsweise beschrieben, dass Veränderungen einen Risikofaktor für Organisationen darstellen. Kein Wunder also, dass Ängste entstehen. Wir können also davon ausgehen, dass Angst so gut wie immer eine Rolle spielt.

Unzureichende Informationen

Eine weitere Botschaft kann sein: "Ich verstehe es nicht." Widerstand kann darauf hinweisen, dass der anstehende Prozess noch nicht verstanden wurde. Vielleicht fehlen Informationen, es bestehen Uneindeutigkeiten oder dem Mitarbeitenden ist der Kosten-Nutzen-Faktor nicht klar. 

Überforderung

Widerstand kann auch bedeuten "Ich schaffe es so nicht." Und diese Botschaft verweist darauf, dass die Belastung oder Beanspruchung zu hoch ist. Dass also Überforderung entsteht, weil es zum Beispiel nicht genügend Kapazitäten gibt, um die geplanten Veränderungen zu erproben und umzusetzen. 

Kompetenzen

Die Botschaft kann aber auch sein: "Ich kann es nicht. Ich weiß nicht wie." Widerstand kann damit ausdrücken, dass noch Kompetenzen fehlen. Dass noch Fortbildungen, Erfahrungen oder Expertisen für den Veränderungsprozess benötigt werden. 

Tempo

Und als letzter Punkt: Widerstand kann auch sagen: "Das geht mir zu schnell". Denn nichts ist schwieriger, als die unterschiedlichen Tempi von Menschen, Strukturen und Prozessen in Organisationen in Einklang zu bringen. Widerstand kann uns ganz einfach zeigen, dass hier ein Tempo-Unterschied besteht. Und ja, ganz häufig ist es so, dass Veränderungen schneller geplant werden, als sie überhaupt umgesetzt und gelebt werden können. 

Eine Methode zum Umgang mit Widerstand

All die Botschaften weisen auf Bedürfnisse der Mitarbeitenden hin. Auf das Bedürfnis nach Information, um Unklarheiten zu beseitigen. Auf das Bedürfnis nach mehr Kapazitäten, nach Verlangsamung oder nach Ausbau der Kompetenzen, um Veränderungen möglich zu machen. 

 

Ich finde, gerade unsere Verantwortung als Coach*innen, Berater*innen und Trainer*innen ist es, diese emotionale Komponente besonders mitzudenken und in die Prozesse mit hineinzuholen. Das ist meiner Ansicht nach genau der Punkt, wenn es um Konzepte geht, die sich mit Neuer Arbeit beschäftigen. Den Menschen mit seinen Bedürfnissen in den Mittelpunkt zu stellen und von dort aus Veränderungensprozesse zu denken. 

 

Für mich ist daran die Haltung geknüpft, nicht einfach nur mitzuspielen, sondern den ganzen Menschen in der Organisation zu sehen. Seine Bedürfnisse ernst zu nehmen und Partizipation zu schaffen. Wann immer die Möglichkeit für mich in der Rolle als Team- und Organisationsentwicklerin besteht, nehme ich diese emotionale Komponente in die Prozesse mit hinein. Und so lässt sich beispielsweise dabei vorgehen: 

5 Fragen für den Prozess

In der Team- und Organisationsentwicklung nutze ich 5 Fragen, um die Bedürfnisse der Mitarbeitenden ganz bewusst zu berücksichtigen. Es wird damit bereits präventiv über die Botschaften gesprochen, die sich sonst - ohne Berücksichtigung - im Nachgang durch Widerstand zeigen würden. 

 

Folgende Fragen nutze ich dabei:

  • Was ist mir noch unklar?
  • Welche Kapazitäten brauche ich?
  • Was brauche ich noch, um es schaffen zu können?
  • Welche Schritte in der Planung sind mir zu schnell?
  • Welche Angst spüre ich in mir? 

Die Fragen beziehen sich damit direkt auf die Bedürfnisse nach Kapazität, nach (Handlungs-)Sicherheit, nach Information und Klarheit, nach bestehender Selbstwirksamkeit durch das Vorhandensein der nötigen Kompetenzen und nach einem angemessenen Tempo. 

Interview und anonyme Runde

Die Teilnehmenden erhalten dann die Möglichkeit, sich im 2er-Gespräch zu den Fragen zu interviewen und ihre Ergebnisse auf Moderationskarten zu schreiben. Nach dieser Interviewphase erfolgt eine anonyme Runde. Es kann immer sein, dass Ängste oder Verständnisfragen ergänzt werden wollen, zu denen sich Mitarbeitende nicht outen möchten. Diese anonyme Runde sollte also ermöglicht werden, um noch weitere Impulse aus dem Team aufzunehmen und zu berücksichtigen.

Clustern

Die Ergebnisse können dann an Moderationswänden geclustert werden. Sehr häufig zeigen sich hier bereits Schwerpunkte. Zum Beispiel geht es eher um das Tempo oder um die Kapazitäten. Ich clustere die Ergebnisse niemals selbst, sondern überlasse diesen Prozess dem Team. Hierbei entsteht bereits ein wichtiger Austausch zu den vorhandenen Bedürfnissen.

Besprechung der Bedürfnisse

Anschließend geht es ins Plenum. Die Bedürfnisse werden gemeinsam in einem moderierten Austausch besprochen. In diesem Schritt sollte es noch nicht um mögliche Strategien und Planungen für den Veränderungsprozess gehen. Die Kommunikation über Bedürfnisse steht hier im Fokus. Denn der größte Effekt liegt erst einmal darin, dass die unterschiedlichen Bedürfnisse gesehen und bewusst wahrgenommen werden. 

Strategien und Planungsideen

Erst nach der Besprechung der Bedürfnisse kann im Plenum ein Austausch über mögliche Strategien und Planungsideen für den Veränderungsprozess erfolgen. Hierbei dürfen alle Ideen gesammelt werden. 

Letzte Abfrage

Zum Schluss nutze ich eine letzte Abfrage. Gerne stelle ich dabei die Frage: "Kann ich mitgehen?" Damit ist gemeint, ob der einzelne Mitarbeitende sich vorstellen kann, den geplanten Prozess überhaupt annehmen zu können. 

 

Diese letzte Abfrage, die bewusst als klassische Ja-Nein-Frage formuliert ist, ermöglicht es, zum Ende noch einmal abzuklopfen, ob es vielleicht doch noch etwas anderes braucht, als die Impulse, die gesammelt wurden.

 

Einen wichtigen Punkt dürfen wir nämlich in unserer Rolle als Coach*innen und Berater*innen nicht vernachlässigen: Es kann auch immer passieren, dass sich eine Organisation so weit verändert, dass Mitarbeitende nicht mehr im Unternehmen arbeiten wollen oder können. Gerade in tiefliegenden Veränderungsprozessen können daher auch Thematiken wie Abschied und Enttäuschung mitschwingen. 

 

Diese letzte Abfrage ermöglicht es, diese Thematiken auf eine bewusste und sichtbare Ebene zu bringen. 

Die Haltung

Meine Haltung ist, dieses Vorgehen nicht linear zu denken. Getreu dem Motto: Jetzt haben wir das einmal abgefragt, jetzt sind wir damit fertig! Sondern es in stetigen Schleifen anzuwenden. Tatsächlich ist es für Teams und Organisationen mehr als hilfreich, nach diesen Bedürfnis-Botschaften ganz regelmäßig zu fragen. Auch dann, wenn sie sich in keinem klassischen Chance-Prozess befinden. 

Zum Schluss

In Gesprächen, in denen mir Führungskräfte erzählen, dass es Widerstand im Team gibt, zeigt sich immer wieder sehr deutlich, dass bisher noch nicht über Bedürfnisse gesprochen wurde. Darin liegt aber eine große Chance. Die Besprechung von Bedürfnissen kann jederzeit nachgeholt und etabliert werden. Ich finde, es lohnt sich sehr, dafür einzustehen! 

 

Eine spannende Sache mag ich dir zum Schluss auch noch mitgeben: Widerstand kann auch intrapersonal erscheinen. Auch wir können mit uns selbst in eine Widerstands-Dynamik geraten. Und auch die Widerstände, die wir in uns selbst wahrnehmen, verweisen auf Bedürfnisse, die bewusst und sichtbar werden wollen. 

 

Ich finde diesen Punkt so wichtig, da Formate Neuer Arbeit bei uns selbst beginnen. Auch bei uns Coach*innen, Trainer*innen und Berater*innen. Für unsere ganz persönliche Entwicklung ist es daher ebenso wertvoll, die 5 Fragen regelmäßig in unseren Alltag zu holen.

 

  • Was ist mir noch unklar?
  • Welche Kapazitäten brauche ich?
  • Was brauche ich noch, um es schaffen zu können?
  • Welche Schritte in der Planung sind mir zu schnell?
  • Welche Angst spüre ich in mir?

Wo auch immer du stehst, ich mag dich herzlich einladen, die 5 Fragen auch für dich selbst zu erproben.

 

Ganz viel Freude beim Ausprobieren wünscht dir

Christine


Literatur


Ciompi, L. (1997): Die emotionale Grundlage des Denkens. Entwurf einer fraktalen Affektlogik. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht).

 

Nicolaisen, T. (2019): Emotionen in Coaching und Organisationsberatung. 45 Praxis-Tipps für den Umgang mit bewegten Gemütern. Heidelberg: Carl-Auer.


Christine Neumann

Hi, ich bin Christine Neumann 

systemische Supervisorin und Coachin, Host des Podcasts Die Vision führt uns an!, leidenschaftliche Visionärin und New Workerin. In den sozialen Medien findest du mich bei instagram: @visionscoachin und facebook: @visionscoachin



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